Grenzenlose Möglichkeiten
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Von Freeclimber zum Superman
Im Januar 1982 gerät Hugh Herr bei einer Expedition am Mount Washington in einen gewaltigen Schneesturm. Plötzlich ist sein ganzes Geschick nichts mehr wert. Wirbelnde weiße Massen machen jede Orientierung unmöglich; jede Verbindung zur Außenwelt ist abgeschnitten. Als er nach drei Nächten bei minus 30 Grad Celsius von einem Rettungstrupp gefunden wird, hat er schwere Erfrierungen erlitten. Im Krankenhaus verliert er beide Beine.
Doch statt mit seinem Schicksal zu hadern, nimmt Herr es selbst in die Hand. Mit Feuereifer studiert er Maschinenbau, Elektronik, Physik und die menschliche Anatomie, eignet sich praktische Fähigkeiten bei einem Werkzeugmacher an – und entwickelt eine vollkommen neue Generation von Prothesen. Heute ist Hugh Herr einer der führenden Visionäre für die Verbindung von Mensch und Maschine und leitet das Center for Extreme Bionics am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dank seiner titanverstärkten und rechnerunterstützten „Superbeine“ klettert der (aus konventioneller Sicht) schwerbehinderte 54-Jährige nach seinem Unfall auf höherem Niveau als davor.
Inzwischen hat Hugh Herr für fast jede Gelegenheit ein passendes Paar Beine entwickelt und liebt es, seine übermenschlichen Fähigkeiten spielerisch zu demonstrieren: „Wenn ich mich unsicher fühle, drehe ich einfach meine Größe nach oben.“ Für ihn wäre es nur logisch, wenn auch andere Sportler ihre Fähigkeiten mit technischen Geräten erweitern würden: „In der Zukunft werden wir ohnehin alle Exo-Skelette tragen“ – raffinierte Konstruktionen also, die den menschlichen Bewegungsapparat unterstützen und verstärken. Mit einem Exo-Skelett könnte selbst „Otto Normalverbraucher“ Autos stemmen wie Superman.
Upgrades statt Evolution?
Industrie-Arbeiter, die mit Hilfe von Exo-Skeletten schwere Eisenguss-Teile mühelos auf einen Lkw verladen – ganz ohne Krane, Roboter und andere Verladetechniken? Für Futuristen wie Hugh Herr wäre das nur folgerichtig. Und die immer engere Verzahnung von Mensch und Technik schreitet voran: Bald soll der Übergang vom Körper zur Prothese praktisch nicht mehr zu spüren sein, dank verbesserter künstlicher Haut und direkter Nervenverbindung.
„Der nächste Schritt der Evolution ist vielleicht nicht biologisch – sondern technisch“, prophezeit das amerikanische Technikkultur-Magazin „Wired“. Auf der ganzen Welt arbeiten selbsternannte „Bio-Hacker“ daran, die eigenen Grenzen zu überwinden: So wie Computerhacker Software umprogrammieren, um Codes und Algorithmen zu knacken, so modifizieren Bio-Hacker ihre eigene „Wetware“, wie sie den menschlichen Körper bezeichnen.

sondern verwischen die Grenzen zwischen virtueller Wirklichkeit und Alltag
sondern verwischen die Grenzen zwischen virtueller Wirklichkeit und Alltag
Eine neue Realität
Prothesen, Reittiere, Raumfahrt: Verbindungen versetzen den Menschen in die Lage, mit schwierigen Umgebungen zu interagieren. Was aber, wenn die Außenwelt selbst verändert werden soll – wenn es nicht um die Kombination von Mensch und Technik geht, sondern um die Verschmelzung von wirklicher und virtueller Realität?
Auch hier gibt es erstaunliche Fortschritte: Systeme wie die „Cyberbrille“ Microsoft Hololens machen eine „Augmented Reality“ schon heute möglich – eine erweiterte Realität, die durch Einblendung von Grafiken und dreidimensionalen Objekten entsteht, die vermeintlich im Raum schweben. Einsatzgebiet: Smart Factories. Denn dank Hololens sieht ein Techniker beim Fabrikrundgang nicht nur das Äußere seiner Maschinen, sondern auch die wichtigsten Kennzahlen und Messwerte aus ihrem Inneren. Und das, ohne zu Smartphone, Pad oder anderen Steuergeräten zu greifen.
So wie das Exo-Skelett Mitarbeitern ungeahnte Körperkraft verleiht, ist die Cyberbrille eine mächtige „Wissensprothese“: Mit ihrer Hilfe kann ein Mechaniker, der ein komplexes Gerät zum ersten Mal repariert, Schritt für Schritt durch alle Arbeitsphasen geleitet werden. Er sieht die nötigen Handgriffe direkt an der Maschine vor sich – als holographische Projektion, die mit dem Realbild verbunden ist. Auch Anlernzeiten in der Produktion könnten so auf wenige Minuten reduziert werden.